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Nivilli

blogbeitrag Nivilli

In Staffel 11, Folge 7, der TV-Show „Die Höhle der Löwen" präsentiert ein junges Unternehmen einen Nagelschuh namens Nivilli, der zum Nivellieren von Böden und Aerifizieren von Rasenflächen eingesetzt werden soll.

Für den Nivilli wurde bereits ein Deutsches Patent erteilt. Dazu wurde eine Europäische Nachanmeldung verfolgt. Anhand dieser europäischen Nachanmeldung soll eine objektive Möglichkeit aufgezeigt werden, wie im Europäischen Verfahren ein Patent für den Nivilli erteilt werden könnte, insbesondere warum das Anwendungsgebiet einer bestimmten Technik eine entscheidende Rolle bei der Patenterteilung spielen kann.

Europäische Nachanmeldung – EP3758541A1 (EP'541)

Schutzgegenstand

In der EP'541 wurde versucht, den Nivilli als Arbeitsschuh zu schützen. Anspruch 1 der EP'541 definiert folgende Merkmale (vgl. Bezugszeichen in Klammern aus Fig. 1 der EP'541 unten):

M1: Arbeitsschuh (1), insbesondere zum Einsatz bei Nivellierungsarbeiten und/oder Spachtelarbeiten und/oder zum Lüften eines Rasens
M2: wobei der Arbeitsschuh (1) derart ausgebildet ist, dass ein Fuß eines Trägers über eine Öffnung (8) in den Arbeitsschuh (1) einbringbar ist, und
M3: wobei der Arbeitsschuh (1) mit nach unten ragenden Abstandselementen (4) versehen ist.

Fig. 1 – Zeichnung aus EP3758541A1

Fig. 1 – Zeichnung aus EP3758541A1

Stand der Technik

Im Prüfungsverfahren vor dem EPA zitiert der Prüfer zwei Dokumente D1 (DE102010044816A1) und D2 (US9993045B2) als neuheitsschädlich für den Inhalt des Anspruchs 1 der EP'541.

D1 (DE102010044816A1)

D1 offenbart einen Sport-/Arbeitsschuh der folgenden Art (vgl. Anspruch 1 und Fig. 2 von D1 unten):

Fig. 2 – Zeichnung aus DE102010044816A1

Fig. 2 – Zeichnung aus DE102010044816A1

D1 zeigt hierbei einen Arbeitsschuh gemäß M1, der einen Schaft 8 hat, der sinngemäß zu M2 eine Öffnung aufweist, um einen Fuß in den Arbeitsschuh einzubringen. Ferner sind an den Arbeitsschuh in D1 auswechselbare Stollen 28 anbringbar, die Abstandselemente gemäß M3 ausbilden.

Folglich offenbart D1 alle Merkmale M1 - M3 des Anspruchs 1 der EP'541, der Anspruch 1 der EP'541 ist somit nicht neu gegenüber D1.

D2 (US9993045B2)

D2 beinhaltet austauschbare Sandalen der folgenden Art (vgl. Fig. 5E aus D2 unten):

Fig. 5E – Zeichnung aus US9993045B2

Fig. 5E – Zeichnung aus US9993045B2

Es ist allerdings fraglich, ob die in D2 offenbarten Sandalen überhaupt Arbeitsschuhe gemäß M1 darstellen. Denn die Sandalen aus D2 sind eher für Freizeitaktivitäten vorgesehen, wie Angeln, Wandern oder Kajakfahren (vgl. Spalte 9, Zeilen 26 und 27 in D2). Allerdings wird durch die Oberlasche der Sandale aus D2 eine Öffnung für einen einzubringenden Fuß gemäß M2 ausgebildet. Ebenso können die Stollen 272 als Abstandselemente gemäß M3 aufgefasst werden.

Folglich offenbart D2 mindestens die Merkmale M2 und M3 des Anspruchs 1 der EP'541.

Aus unserer Sicht können die Sandalen aus D2 aber grundsätzlich auch als Arbeitsschuhe angesehen werden, da Angeln sowohl als Freizeitaktivität als auch als Berufsausübung aufgefasst werden kann. Somit scheint D2 mit den dort gezeigten Sandalen auch Arbeitsschuhe gemäß M1 zu offenbaren.

Danach wäre der Anspruch 1 der EP'541 also auch nicht neu gegenüber D2.

D1 und D2 nehmen somit den Gegenstand des Anspruchs 1 der EP'541 vorweg und der Prüfer wird daher kein Europäisches Patent auf Basis dieses Anspruchs 1 erteilen.

Was also tun? Vorschlag für eine effektive Abgrenzung von D1 und D2

Einer der Kerngedanken des Nivilli sieht vor (vgl. Fig. 1 der EP'541), dass der Arbeitsschuh besonders effektiv und gut bei Nivellierungsarbeiten und Spachtelarbeiten eingesetzt werden kann (siehe Beschreibung der EP'541, Seite 7, Zeilen 3 bis 6). Dieses Ergebnis wird dadurch erreicht, dass entsprechend lange Abstandselemente mit einer Länge in einem Bereich zwischen 20mm und 80mm eingesetzt werden – siehe z. B. Anspruch 9 der EP'541.

Weder D1 noch D2 offenbaren (vgl. Figuren in D1 und D2 oben), dass die Abstandselemente (D1: Stollen 28; und D2: Stollen 272) eine Länge in einem Bereich zwischen 20mm und 80mm aufweisen.

D1 offenbart keine Längenangabe für die eingesetzten Stollen 28. Der Fachmann würde eine Länge wählen, die für das Einsatzgebiet des in D1 offenbarten Sport-/Arbeitsschuhs geeignet ist. Diesbezüglich versteht D1 den Begriff „Sportschuh" als: „Laufschuhe, Fußballschuhe, Golfschuhe, Wanderschuhe, Turnschuhe (Sneakers) und dergleichen" und den Begriff „Arbeitsschuh" als: „Sicherheitsschuhe, Militärstiefel und für andere Arbeitszwecke dienende Schuhe" (vgl. Absätze [0009] und [0010] in D1). Diese Begriffsbestimmungen bilden somit Anforderungen an den Sport-/Arbeitsschuh aus D1.

Der Fachmann würde sinngemäß diesen Anforderungen gerechte Stollen 28 bereitstellen. Es scheint unzweckmäßig, Stollen 28 mit einer Länge von über 20mm in dem Sport-/Arbeitsschuhe aus D1 einzusetzen, da ansonsten diese Anforderungen nicht erfüllt werden könnten.

Somit würde ein Fachmann ausgehend von dem in D1 gezeigten Sport- / Arbeitsschuh aufgrund des Einsatzgebiets keine Stollen einsetzen, die eine Länge in einem Bereich zwischen 20mm und 80mm aufweisen.

Der Fachmann könnte dennoch einen der in Fig. 5B aus D2 gezeigten Stollen 272a bis 272c verwenden – siehe nachfolgende Abbildung – um den Sport-/Arbeitsschuh aus D1 oder die Sandalen aus D2 weiterzuentwickeln.

Fig. 5B – Zeichnung aus US9993045B2

Fig. 5B – Zeichnung aus US9993045B2

Die in D2 gezeigten Sandalen sind speziell zum Angeln, Wandern oder Kajakfahren konzipiert (vgl. Spalte 9, Zeilen 26 und 27 in D2). Bei diesen Tätigkeiten wären lange Stollen 272 offensichtlich wenig geeignet bzw. nachteilig. Der Fachmann würde zumindest für diese Freizeitaktivitäten keine Stollen 272 vorsehen, die eine Länge von über 20mm aufweisen.

Zusammengefasst scheint für die vorliegende Erfindung eine Spezifizierung der Länge der Abstandselemente in einem Bereich zwischen 20mm und 80mm erfolgversprechend, um eine Patenterteilung damit zu erzielen. Dies würde einer Kombination der Ansprüche 1 und 9 der EP'541 entsprechen.

Für den Nivilli könnte somit ein Europäisches Patent erlangt werden.

Fazit

Es wurde gezeigt, wie das Einsatzgebiet im Stand der Technik für eine sinnvolle Argumentation genutzt werden kann, um glaubhaft zu machen, dass der Fachmann nicht in naheliegender Weise zu der Kernidee der vorliegenden Erfindung kommen kann.

Notiz: Es ist zwar vom Europäischen Patentamt gewünscht und bevorzugt, ein ganz bestimmtes Schema, den sogenannten Problem-Solution-Approach, anzuwenden, um den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit auszuräumen. Allerdings ist die Anwendung des Problem-Solution-Approach nicht zwingend notwendig und es kann, wie oben, auch ohne Anwendung des Problem-Solution-Approach mehr formlos argumentiert werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Falle des Nivilli im Europäischen Verfahren eine Einschränkung nötig ist, diese aber den Einsatzzweck der vorliegenden Erfindung widerspiegelt.

So würde der Nivilli mit einem solchermaßen eingeschränkten Anspruch 1 immer noch einen breiten Schutzumfang erhalten. Damit wird eine potenzielle Nachahmung des Nivilli sicherlich erschwert und dem Unternehmen ein effektives Mittel zur Verteidigung bzw. Abschreckung vor einer Nachahmung bereitgestellt. Dieses Mittel sichert dem Unternehmen den Erfolg auf dem Absatzmarkt.

Autor: Julian Graf
German and European Patent Attorney

Disclaimer: Der vorstehende Beitrag spiegelt die persönliche Auffassung des Autors wider. Die im Beitrag vorgenommen Einschätzungen und Ausführungen stellen keine Rechtsberatung dar und werden unter Ausschluss jeglicher Haftung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie eine patentrechtliche Prüfung Ihres Einzelfalls benötigen, so wenden Sie sich bitte an den Autor und/oder die Kanzlei KUHNEN & WACKER.

 

 

Julian Graf

Autor: Julian Graf
German and European Patent Attorney

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