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WowWow

blogbeitrag WowWow

In Staffel 9, Folge 11, der TV-Show „Die Höhle der Löwen" präsentiert ein Tierliebhaberpärchen ein neuartiges Hundehalsband.

Das WowWow ist ein Hundehalsband, in dem eine Hundeleine integriert ist. Das WowWow ermöglicht dem Hundehalter, den Hund frei laufen zu lassen und jederzeit wieder anzuleinen, ohne dabei die Leine mitführen zu müssen. Die Leine kann mit einem Handgriff gegriffen und ausgezogen werden. Das erspart Zeit beim Sichern des Hundes.

Für das WowWow wurde ein Europäisches Patent erteilt. Anhand des WowWow soll gezeigt werden, wie eine neue Anwendung einer altbekannten Technik die erfinderische Tätigkeit begründen kann.

Notiz: Wird eine an sich altbekannte Technik erstmals auf einem anderen Technikgebiet angewandt, kann diese neue Anwendung unter Umständen erfinderisch sein.

Die Europäische Patentanmeldung – EP3576521A1 (EP'521)

Schutzgegenstand

Ursprünglich wurde versucht, das WowWow mit einem auf eine Hundehalsband-Leinenkombination gerichteten unabhängigen Anspruch zu schützen (vgl. Bezugszeichen in Klammern aus Fig. 1 und 2 der EP'521).

Anspruch 1 der EP'521 definiert folgende Merkmale:

M1: Hundehalsband-Leinenkombination mit einem Halsband (1) und einer in einem Gehäuse (20) mit Auf- und Abrollmechanismus (21) vorgehaltenen Leine (2),
M2: wobei die Leine (2) im Gehäuse (20) gegen eine Federkraft abwickelbar ist und ein äußeres Ende der Leine (2) einen Griff (22) aufweist,
M3: dadurch gekennzeichnet, dass das Halsband (1) zwei freie Enden (11, 12) hat,
M4: wobei am ersten Ende (11) das Gehäuse (20) für die Leine (2) und am zweiten Ende (12) eine Öse (13), durch die die Leine (2) hindurchgeführt ist, vorgesehen sind.

Fig. 1 und Fig. 2 – Zeichnung aus EP3576521A1

Fig. 1 und Fig. 2 – Zeichnung aus EP3576521A1

Stand der Technik

Im internationalen Recherchenbericht zitiert der Prüfer ein neuheitsschädliches Dokument D1 (DE384432C) als relevant für alle Ansprüche der EP'521. Insbesondere sieht der Prüfer den Anspruch 1 als nicht neu gegenüber D1 an.

D1 offenbart (vgl. Abb. 1 aus D1) ein Hundehalsband 10 mit beim Nachlassen des Zuges sich aufrollender Leine 13 (vgl. M1; siehe Anspruch 1 in D1). Dabei wird die Leine 13 (mit Fingerring 8) durch eine Schraubenfeder 6 in das schlauchartig ausgebildete Halsband 10 selbst zurückgezogen (vgl. M2; siehe Anspruch 1 und Abb. 1 in D1). Hierbei dient ein Endring 11 (an einem Ende des Halsbandes 10) als Anschlag für einen Gleitring 2 (an dem anderen Ende des Halsbandes 10) – vgl. M3 und M4.

 

 

Abb. 1

Das Hundehalsband 10 aus D1 zeigt somit alle Merkmale M1 bis M4 aus Anspruch 1 der EP'521.

Der ursprüngliche Anspruch 1 der EP'521 ist somit nicht neu gegenüber D1.

Effektive Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik

Der Anspruch 1 wurde im Verlauf des weiteren Verfahrens wie folgt geändert (Hinzufügungen sind hervorgehoben):

N1: Hundehalsband-Leinenkombination mit einem Halsband (1) und einer in einem Gehäuse (20) mit Auf- und Abrollmechanismus (21) vorgehaltenen Leine (2),
N2: wobei die Leine (2) im Gehäuse (20) gegen eine Federkraft abwickelbar ist und ein äußeres Ende der Leine (2) einen Griff (22) aufweist,
N3: wobei das Halsband (1) zwei freie Enden (11, 12) hat,
N4: wobei am ersten Ende (11) die Leine (2) und am zweiten Ende (12) eine Öse (13), durch die die Leine (2) hindurchgeführt ist, vorgesehen sind,
N5: wobei am ersten Ende (11) das Gehäuse (20) für die Leine (2) vorgesehen ist,
N6: dadurch gekennzeichnet, dass die beiden Enden (11, 12) des Halsbandes (1) bei stirnseitiger Annäherung gegenseitige Stützelemente (14) aufweisen.

Diese Änderungen stellen eine effektive Abgrenzung des Anspruchswortlauts gegenüber D1 dar, da in D1 der Gleitring 2 und der Endring 11 keine gegenseitigen Stützelemente aufweisen und eine stirnseitige Annäherung funktional in D1 keinen Sinn ergeben würde, da gerade das Hindurchführen des Halsbandes 10 durch den Gleitring 2 den Kern der Erfindung aus D1 darstellt. Die Annahme, dass D1 eine solche stirnseitige Annäherung trotzdem nahelegen würde, würde somit auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise beruhen.

Anspruch 1 unterscheidet sich demnach in nicht naheliegender (d.h. erfinderischer) Weise von D1.

Anmerkung: Ein Naheliegen verlangt, dass der Fachmann aus dem Dokument alleine oder aufgrund einer technischen Überlegung zu dem Gegenstand der Erfindung gelangt. Diese technische Überlegung kann auf fachmännischem Können oder eben auf einer Lehre in einem anderen Dokument auf demselben Gebiet der Technik basieren.

Der Prüfer hat zwei weitere – allerdings nicht neuheitsschädliche – Dokumente D2 (US20140116354A1) und D3 (US20090255486A1) für den ursprünglichen Anspruch 1 zitiert.

In diesen vom Prüfer angeführten Dokumenten könnte grundsätzlich eine technische Überlegung enthalten sein, die den Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 nahelegen und somit gegen eine erfinderische Tätigkeit sprechen könnte.

Nun ist aber das oben genannte Unterscheidungsmerkmal zu D1 ebenfalls weder in D2 noch in D3 gezeigt. Die jeweiligen in D2 und D3 angedachten Mechanismen/Funktionsweisen lassen sich anhand von Fig. 2 aus D2 und Fig. 1 aus D3, wie jeweils unten wiedergegeben, einfach nachvollziehen.

Fig. 2
Fig. 1

Wie aus diesen Figuren von D2 und D3 zu sehen ist, basiert der Befestigungsmechanismus des Halsbandes (ohne Bezugszeichen in Fig. 2 aus D2; Halsband 22 in Fig. 1 aus D3) unabhängig von der jeweiligen Leine (Leine 14 in Fig. 2 aus D2; und Leine 32 in Fig. 1 aus D3).

Da das Unterscheidungsmerkmal in keinem der Dokumente D1 bis D3 gezeigt ist und auch keine ähnlichen technischen Überlegungen darin offenbart sind, erübrigt sich eine Argumentation bezüglich einer erfinderischen Tätigkeit gemäß dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz gänzlich. Es reicht, in einem solch gearteten Fall, den Prüfer auf das Nicht-Naheliegen der vorliegenden Erfindung hinzuweisen.

Somit ist der geänderte Anspruch 1 der EP'521 folglich nicht nur neu, sondern auch erfinderisch gegenüber dem im Recherchenbericht zitierten Stand der Technik.

Fazit

Es wurde gezeigt, wie mit einer altbekannten Technik des Klemmens (siehe z. B. Zugverschluss bei Inline-Skates) eine patentrechtlich effektive Abgrenzung des Anspruchs 1 vom zitierten Stand der Technik erreicht werden konnte. Es zeigt sich, dass nicht immer ein technischer Vorteil diskutiert werden muss, um eine erfinderische Tätigkeit aufzuzeigen. Im vorliegenden Fall war die oben beschriebene Technik noch nicht bei Hundehalsbändern bzw. Hundeleinen in Betracht gezogen worden. Dies spricht von vornherein für eine erfinderische Tätigkeit. D1 hat zwar zunächst den Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 1 eher zufällig vorweggenommen. Beim Verdeutlichen der eigentlichen Erfindung in Anspruch 1 lag D1 dann zu weit von dem erfinderischen Grundgedanken der vorliegenden Erfindung weg, um diese dann nahelegen zu können. Dies gilt für D1 allein, als auch in Kombination mit D2 oder D3, denn diese Dokumente enthalten keine mit dem WowWow vergleichbare technische Überlegung.

Trotz der Einschränkung des ursprünglichen Anspruchs 1 hat die letztlich erfolgte Patenterteilung zu einem unserer Sicht durchaus breiten Schutzumfang des WowWow geführt. Denn letztlich konnte der Kerngedanke des Hundehalsbands mit integrierter Leine trotz Änderungen im Erteilungsverfahren ohne größere Schutzrechtseinschränkung patentiert werden. Durch das Patent können somit Wettbewerber von einem Markteintritt abgehalten bzw. gegebenenfalls vom Markt verdrängt werden.

Autor: Julian Graf
German and European Patent Attorney

Disclaimer: Der vorstehende Beitrag spiegelt die persönliche Auffassung des Autors wider. Die im Beitrag vorgenommen Einschätzungen und Ausführungen stellen keine Rechtsberatung dar und werden unter Ausschluss jeglicher Haftung zur Verfügung gestellt. Wenn Sie eine patentrechtliche Prüfung Ihres Einzelfalls benötigen, so wenden Sie sich bitte an den Autor und/oder die Kanzlei KUHNEN & WACKER.

 

Julian Graf

Autor: Julian Graf
German and European Patent Attorney

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